Lange galten Videospielverfilmungen als Garanten für Murks. Die Serienadaption des legendären Apokalypsen-Games "The Last of Us" dürfte das ändern.
Eine Rezension von Sinem Kılıç
Die Welt geht ständig unter,vor allem im Videospiel. Ernst Blochs berühmter Satz aus seiner Philosophischen Ansicht des Detektivromans – "Etwasist nicht geheuer, damit fängt es an" – behält dort seine Gültigkeit: DasEnde der Welt ist oftmals erst der Beginn. Im Endzeit-Game The Last of Us ausder Spieleschmiede Naughty Dog fängt jedenfalls alles damit an, dass einmutierter Cordyceps-Pilz mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung infiziert undin kannibalische Kreaturen verwandelt. Unvergesslich sind die Abenteuer,die man in der Rolle des Tagelöhners und Schwarzmarkthändlers Joel Millererlebt. Mit seinem 14-jährigen Schützling namens Ellie streift er durch einpostapokalyptisches Nordamerika und gewinnt, ausgerechnet in dieser Einöde, eine Welt für sich, für die es sich lohnt, zu leben und zu leiden, zu looten und zuleveln.
Als The Last of Usim Jahr 2013 als Spiel für die PlayStation 3 erschien, wirkte das Szenario einer Pilzpandemienoch wie ein ferner Fiebertraum. Seitdem hat The Last of UsGaminggeschichte geschrieben. Selbst eine tatsächliche Pandemie konnte demErfolg der rührenden Erzählung von Joel und Ellie nichts anhaben, das bewiesdie Veröffentlichung des zweiten Teils im Corona-Auftaktjahr 2020. Durch die HBO-Serienadaptionkönnte The Last of Us Part nun endgültig ins postapokalyptische Popkultur-Pantheoneinziehen.
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Das ist ein kühnesUnterfangen, denn Videospielverfilmungen haben es bekanntlich nicht leicht. Seit demmissglückten Super-Mario-Bros.-Film von 1993, den der Schauspieler BobHoskins im Nachhinein als "das Schlimmste, was er je gemacht hat", bezeichnete,schien eine Art Fluch auf diesem transmedialen Genre zu liegen. Weitere Totalausfällewie Doom (2005), Assassin’s Creed (2016) oder Uncharted(2022) sollten folgen. Allen diesen Verfilmungen gelang es nicht, den Geist zubewahren, der ihre Videospielvorlage durchwehte. Wie man es besser machen kann,zeigten schließlich heitere Adaptionen wie Detective Pikachu (2019) unddie Sonic-the-Hedgehog-Filme (2020 und 2022) sowie Animationsserien wie Cyberpunk:Edgerunners (2022) oder Arcane (2021), das auf dem Multiplayer-TitelLeague of Legends basiert.
HBO soll nun mehr als 100Millionen US-Dollar ausgegeben haben, um auch The Last of Us vor dem Schicksal SuperMarios zu bewahren. Und das hat sich gelohnt. Das liegt allerdings nicht inerster Linie am großzügigen Budget, sondern vor allem an der Liebe zumDetail aller Beteiligten. Der Showrunner Craig Mazin, der zuletzt mit Chernobyl einenSerienhit gelandet hat, arbeitete mit dem Entwickler der The-Last-of-Us-Spiele,Neil Druckmann, gemeinsam an der Adaption. Und das bestens vorbereitet: Über zwölfmal hat Mazin das Game laut eigener Aussage durchgespielt. Wie viel Respekt für das MediumVideospiel in der Zusammenarbeit steckt, wird bereits in der Titelmusik deutlich, in derman das ergreifende main theme aus dem Game-Soundtrack des ArgentiniersGustavo Santaolalla wiedererkennt. Beinahe so melancholisch wie diese Musik fühltsich die Reise von Joel (Pedro Pascal) und Ellie (Bella Ramsey) an, die durch wunderschöne Kulissen führt. Es ist eine Tour durch eine sinnentleerte Welt.
Der Serie gelingt es wiebereits dem Videospiel, menschlichem Verhalten in Extremsituationen mit seismografischerGenauigkeit nachzuspüren. Die sehr gute Frage, was passiert, wenn derAlltag unwiederbringlich vorbei ist, wird in der Serie anhand der immervertrauter werdenden Beziehung von Joel (Pedro Pascal) und Ellie (Bella Ramsey)mit beeindruckender Wucht beantwortet. Doch auch Nebenfiguren aus demSpiel bekommen hier mehr Tiefenschärfe. Eine Episode erzählt die bewegende Geschichtevon Bill (Nick Offerman) und Frank (Murray Bartlett), eine andere zeigt, wie undwo die Pandemie überhaupt ihren Anfang nahm. Die Schauspielerin Ashley Johnson,die dem Videospielcharakter Ellie damals ihre Stimme und Bewegungen lieh,spielt hier eine kurze, aber wichtige Rolle.
Als The Last of Us vor zehn Jahren herauskam, wirkte das Spiel wie ein überzeichnetes Schauermärchen. SeineGeschichte stand eher sinnbildlich für das Auseinanderbrechen derUS-amerikanischen Gesellschaft oder die Gewaltspirale, in der sich Neil DruckmannsGeburtsland Israel noch immer befindet. Zum Auftakt der Serienadaption ist TheLast of Us womöglich zeitgemäßer denn je. Auch wenn das Coronavirus niemanden zum Zombie gemacht hat, sind doch die in The Last of Usverhandelten Fragen darüber, was den Menschen ausmacht und wie Verlust undTrauma ihn verändern, noch immer relevant. Besonders eindrucksvoll zeigen dasdie großartigen schauspielerischen Leistungen von Pedro Pascal und Bella Ramsey.
Videospielpuristen dürftedas Aussehen der beiden, das von der Vorlage abweicht, auf den ersten Blick einDorn im Auge sein. Es ist jedoch eine Stärke der Serie, dass sie lieber erzähltund ihre Helden ins Rampenlicht rückt, statt in mimetischer Treue dem Gameplaynachzueifern. Insofern ist die HBO-Adaption ein Lehrstück darüber, was Filmeund Spiele miteinander teilen –und was nicht. "Das Kino ist nochsehr jung, und es wäre einfach lächerlich, wenn es einem nicht gelänge, ihm einpaar neue Seiten abzugewinnen", hat Orson Welles einmal gesagt. TheLast of Us zeigt, wie es mithilfe eines noch jüngeren Mediums wie demVideospiel gelingen kann, diesem Motto auch künftig gerecht zu werden.
Derzeit sollen noch weitere Videospielverfilmungen in den Startlöchern stehen:Amazon Prime hat eine Adaption von God of War bestellt, Netflix planteine Serienversion zu Horizon Zero Dawn, und im kommenden April soll auch der Animationsfilm The Super Mario Bros. Movie starten, der den Fluch der miesen ersten Mario-Adaption brechen könnte. Dank The Last of Us hat man sogar als Fan dieser Spiele keine allzu große Angst mehr vor dem Ergebnis.
Die neun Folgen von "The Last of Us" sind auf Sky und Wow zu sehen.